Die Quellen des Clitunno
Der Fluss Clitunno durchquert das umbrische Tal zwischen Spoleto und Foligno und fließt über 60 Kilometer, bevor er in den Tiber mündet. Seit Jahrhunderten preisen Reisende, Künstler und Dichter die Klarheit seines Wassers und die Harmonie der ihn umgebenden Landschaft.
Die Quellen des Flusses, heute als Fonti del Clitunno bekannt, entspringen im Gebiet von Campello sul Clitunno und gehören zu den eindrucksvollsten Naturorten Umbriens: ein smaragdgrüner Wasserspiegel, umgeben von Pappeln, Weiden und Eschen, die sich im klaren Wasser spiegeln – ein Ort, an dem Natur, Geschichte und Mythos seit Jahrtausenden zusammenleben.
Auch heute zählen die Quellen des Clitunno zu den bedeutendsten Quellgebieten Mittelitaliens. Die Atmosphäre, die sie umgibt – still, sanft und beinahe schwebend – ist dieselbe, die über Jahrhunderte Dichter und Reisende faszinierte, die zudem vom nahegelegenen Tempietto del Clitunno angezogen wurden, einem kleinen architektonischen Juwel, das trotz seiner Entstehung als christliches Gebäude langobardischer Zeit und seiner Anlehnung an einen korinthischen Tempel lange als das eigentliche römische Heiligtum des Gottes Clitunno galt. Heute gehört das Tempietto zum UNESCO-Welterbe Die Langobarden in Italien. Orte der Macht (568–774 n. Chr.).
Der Fluss Clitunno und seine Quellen in der Antike
In römischer Zeit galten der Clitunno und seine Quellen als heiliger Ort und Hüter uralter Riten. Hier wurden die heiligen weißen Stiere des Clitunno gezüchtet, die nach Rom gebracht und bei den Triumphzügen geopfert wurden. Man glaubte, dass die Reinheit ihres Fells auf die Klarheit des Quellwassers zurückzuführen sei.
Eine romantische Legende erzählt, dass gerade an den Quellen des Clitunno die Hochzeit zwischen Janus und Camesena – einer Nymphe des Flusses und Muse des Gesanges – gefeiert wurde, aus deren Vereinigung das italische Volk entstanden sein soll. Der alte Name von Pissignano, Pissin-Ianum, „das Becken des Janus“, scheint eine Erinnerung an diesen Mythos zu bewahren.
Die Quellen wurden von Vergil in seinen Georgica besungen und von Plinius dem Jüngeren mit Bewunderung beschrieben. In einem seiner poetischsten Briefe beklagte er, eine solche Schönheit erst spät entdeckt zu haben: Die Quelle sei so „rein und kristallklar, dass man die auf den Grund geworfenen Münzen und die glänzenden Steinchen zählen konnte“. Das Wasser, kalt wie Schnee, bewahrte das Geheimnis des darin wohnenden Gottes.
Zur Zeit des Besuchs von Plinius waren die Quellen so ergiebig, dass sie einen großen Fluss bildeten, der – über den Tiber – bis nach Rom schiffbar war. Erst ein starkes Erdbeben im Jahr 440 n. Chr. veränderte das Gebiet radikal und ließ viele Quelladern versiegen.